Identitäre
Hipster-Nazis – Geschichte, Einordnung und Auftreten der Identitären Bewegung
Ein junger Mann mit Bart und nach hinten aufgesetztem Käppi sitzt auf einem Heuballen. Seine kurze Hose lässt seine tätowierten Beine hervortreten. Sein Blick schweift in die Ferne. Ein ganz normales Bild auf Instagram? Auf den ersten Blick schon, wäre da nicht die nicht so leicht erkennbare politische Inszenierung dieses jungen Mannes, welcher einer der Protagonisten der so genannten Identitären Bewegung ist. Aber was ist die Identitäre Bewegung überhaupt und wieso ist es aus antifaschistisch- gewerkschaftlicher Sicht wichtig, darüber Bescheid zu wissen? Der folgende Beitrag soll die Entstehung und Entwicklung der Identitären nachzeichnen, eine inhaltliche Verortung vornehmen sowie ihr Auftreten und ihre Aktionsformen beleuchten.
Entstehung und Entwicklung der Identitären Bewegung
Anfang Oktober 2012 veröffentlicht die in Frankreich aktive Génération Identitaire auf YouTube eine „Kriegserklärung“. Unterlegt mit pathetischer Musik sprechen die Protagonist*innen des kurzen Clips dabei von einem „ethnischen Zusammenbruch“ und einer „aufgezwungenen Vermischung“ . Das eigene Volk werde durch die aktuelle Politik vernachlässigt. Gegen diese Zustände gelte es aktiv zu werden und sich kämpferisch zu Wehr zu setzen. Mediale Aufmerksamkeit und Sympathie von rechts bekam die Génération Identitaire durch Besetzung einer im Bau befindlichen Moschee in der französischen Stadt Poitiers am 20. Oktober 2012. Historisch nahmen die Besetzer*innen dabei Bezug auf die Schlacht von Tours und Potiers im Jahre 732. In dieser wurde der islamischen Expansion auf dem europäischen Festland ein Dämpfer versetzt. Ob diese Schlacht dabei allerdings als herausgehobener Wendepunkt betrachtet werden kann, ist unter Historiker* innen umstritten.
Von Frankreich aus verbreitete sich das Konzept, bereits seit 2012 gab es auch Ableger der Identitären Bewegung in Deutschland. Allerdings waren diese in der Anfangszeit eher ein Internetphänomen, das keine eigenen Aktionen auf die Beine stellen konnte. Dies änderte sich mit der Zeit, vor allem durch die kontinuierliche Aufbauhilfe aus Österreich Nach einer Neustrukturierung im März 2016 wurden die Aktivitäten der Identitären sichtbarer. Mediale und politische Aufmerksamkeit erhielten die Anhänger*innen durch gut inszenierte Aktionen wie z. B. die kurzzeitige Besetzung des Brandenburger Tors im August 2016. Im Laufe ihres Bestehens haben sich die Identitären zunehmend professionalisiert. In Deutschland sind vor allem Rostock und Halle (Saale) wichtige Städte für die Identitären. Hier verfügen sie über sehr aktive Ortsgruppen, Zugang zu Immobilien und weitere Infrastruktur. Aktuell besteht die »Bewegung« aus einer niedrigen dreistelligen Zahl von Anhänger*innen, welche oftmals als Reisekader von Aktion zu Aktion reisen.
Inhaltliche Verortung
Journalist*innen und Politiker*innen tun sich oftmals schwer mit der politischen Verortung der Identitären. Vor allem das hippe und jugendliche Auftreten unterscheidet sie von klassischen Neonazis wie der NPD oder Kameradschaften. Die Identitären lassen sich als Ausprägung der Neuen Rechten verstehen. Ihr Ziel ist eine Kulturrevolution von rechts. Wesentlicher gesellschaftlicher Widerspruch ist für die Identitären nicht der zwischen Kapital und Arbeit, sondern der zwischen Kulturen. Dabei verstehen sie Kulturen als klar unterscheidbar, unveränderbar und in einem permanenten kriegsähnlichen Zustand gegeneinander befindlich. Abweichung und Andersartigkeit werden als nicht zugehörig definiert. Kultur ersetzt in diesem Verständnis de facto den verpönten Begriff Rasse. Europa wird für die Identitären von außen bedroht. Es wird dabei als Schicksalsgemeinschaft inszeniert, welche es gegen die »Horden von Muslimen« zu verteidigen gelte. Die Identitären beziehen sich dabei auf das Konzept des Ethnopluralismus. Nach diesem gehöre jeder Kultur gleichberechtigt ihr Platz in der Welt, nur sollen sich diese Kulturen eben nicht vermischen.
In verschwörungstheoretischer Manier sprechen die Identitären in Bezug auf nach Europa kommende Flüchtlinge und Muslime (welche oft gleichgesetzt werden) vom Großen Austausch. Laut diesem werde die autochthone Bevölkerung, also die alteingesessenen Europäer*innen, durch kulturfremde Andere ersetzt. Dies steht dem Streben nach einer möglichst homogenen Kultur natürlich entgegen. Inhaltliche Anknüpfungspunkte für die Identitären finden sich aktuell vor allem bei der AfD. Trotz Unvereinbarkeitsbeschluss gibt es immer wieder Kooperationen und personelle Überschneidungen.
Auftreten und Aktionsformen
Was die Identitären maßgeblich vom kameradschaftlich-organisierten Neonazismus unterscheidet, ist ihr Auftreten. Mit diesem stellen sie allerdings auch innerhalb der Neuen Rechten ein eigenständiges Phänomen dar, welches sich mit ihrer Schwerpunktsetzung auf Aktion, Jugend, Popkultur und Corporate Identity in den Blick nehmen lässt. Der überschaubare Pool an Aktionsformen wird von den Identitären immer wieder an verschiedenen Orten wiederholt. Ohne viel Aufwand werden Graffiti angebracht, um Slogans und Forderungen in die Öffentlichkeit zu bringen. So finden sich zum Beispiel regelmäßig an den Sperren an einigen Weihnachtsmärkten Graffitis mit den ironischen Slogans wie „Danke Merkel“ und „Multikulti läuft“.
Erste öffentliche Auftritte feierten die Identitären durch die Störung von Veranstaltungen (z. B. von politischen Gegner*innen). Beispielhaft sei hier kurz eine Aktion in Greifswald im November 2018 beschrieben: So stürmten im November 2018 Identitäre eine Veranstaltung der Universität Greifswald zum Thema „Ängste schüren durch rechte Akteure“ und entrollten im Vorlesungssaal ein Transparent mit der Aufschrift „Man wird wohl noch seine Meinung sagen dürfen“. In die mediale Öffentlichkeit schaffen es die Identitären mit vermeintlich spektakulären Aktionen wie z. B. der kurzzeitigen Besetzung des Brandenburger Tors im August 2016 oder des Charterns eines Schiffes mit dem Ziel der Verhinderung von Seenotrettung auf dem Mittelmeer im Sommer 2017.
Bei jeder noch so kleinen Aktion werden professionelle Bilder und Videos gemacht und im Internet verbreitet. Dabei greifen die Identitären neben ihren eigenen Webseiten auf eine Vielzahl von Social Media-Kanälen wie z. B. Facebook, Twitter, YouTube und Instagram zurück. Diese Inszenierung in den (sozialen) Medien ist wichtiger als die eigentliche Aktion. Damit erreichen sie neben eigenen Anhänger*innen auch immer wieder Jugendliche, welche sich durch die Aufmachung und das Auftreten angesprochen fühlen. Als im Mai 2018 zahlreiche Accounts der Identitären bei Instagram und Facebook gelöscht werden, versetzt dies der „Bewegung“ einen harten Schlag.
Zur Wiedererkennung trägt die Corporate Identity der Identitären bei: die Farben schwarz-gelb sowie das eigene Logo der Identitären, das Lambda-Symbol, sind auf allen Veröffentlichungen der Identitären zu sehen. Das Lambda-Symbol stammt aus dem griechischen Alphabet und ist dem Film „300“ entlehnt. In diesem kämpfen 300 durchtrainierte und wehrhafte Spartaner gegen eine übermächtige persische Armee. Die Kämpfer opfern sich mit dieser Schlacht für den Bestand des freien Griechenlands. All diese Themen – Wehrhaftigkeit, Kampf und Opferbereitschaft – finden sich auch in der Selbstdarstellung der Identitären wieder. Wie auch die Spartaner im Film sehen sich die Identitären dabei als eine avantgardistische Elite, welche voranschreitet, um den Untergang abzuwehren.
Ebenfalls neu ist das Auftreten mit Gesicht und Namen. So werden die Aktivist*innen nahbar und schaffen Anknüpfungspunkte für jugendliche Lebenswelten. Weiterhin versuchen sie sich dadurch als ungefährliche und nette Nachbar*innen, Arbeitskolleg*innen und Kommiliton*innen zu inszenieren. Dass die Identitären alles andere als ungefährlich und gewaltfrei sind, lässt sich mit vielen Beispielen belegen. Fazit: Die Identitäre Bewegung mag sich zwar in ihrem Stil von den Neuen Rechten abgrenzen, ihre Ideologie folgt jedoch der gleichen menschenverachtenden Logik. Wir als Gewerkschafter*innen stehen den Identitären daher gemeinsam entgegen – im Betrieb, an der Uni und in der Kneipe.
Steven Hummel studierte Politikwissenschaft in Leipzig und arbeitet beim Deutschen Jugendinstitut in Halle. Er ist bei dem Leipziger Dokumentations- und Rechercheprojekt chronik.LE (www.chronikle.org) aktiv. Als ver.di-Mitglied ist er an diversen gewerkschaftlichen Bildungsprojekten beteiligt.