(Lokal-) Patriotismus
Was ist damit überhaupt gemeint?
„Patriotismus“ ist eines der Schlagworte, welches man immer öfter hört. Dabei ist meistens nicht klar, was dieses Wort wirklich bedeutet. Die Identitäre Bewegung zum Beispiel behauptet von sich, für einen „authentischen Patriotismus“ zu stehen und die AfD fordert einen „gesunden Patriotismus“. Aber was genau ist denn damit gefordert?
Dem Wörterbuch nach ist man Patriot, wenn man eine emotionale Beziehung zu dem eigenen Heimatland hat. Oftmals wird Patriotismus mit „Vaterlandsliebe“ gleichgesetzt. Es gibt auch viele Formen des Lokalpatriotismus. Dabei liebt man den eigenen Wohnort oder Heimatort, aber nicht unbedingt das ganze Land oder das Land als solches. Eine emotionale Beziehung zu der eigenen Heimat hat zwar jeder Mensch, denn man verbindet natürlich Erinnerungen, Menschen und viele andere Dinge mit den Orten, an denen man gewohnt hat. Aber um Patriot zu sein, muss neben der emotionalen Beziehung noch mehr hinzukommen.
Zum Patriotismus gehört auch dazu, sich einer Gruppe zugehörig zu fühlen. Wenn man also sagt, man ist patriotische*r Deutsche*r, dann hat man eine emotionale Beziehung zu der eigenen Idee von Deutschland und den Menschen, die ähnlich denken und größtenteils so aussehen wie man selbst. Deutschland ist in diesem Kontext also nicht nur ein gewisses und abgegrenztes Stück Erde, sondern ein Schlagwort für eine Gemeinschaft, die gleiche Ansichten, Bräuche und äußerliche Merkmale hat. Deutschland bietet in diesem Kontext eine Projektionsfläche für all das, was patriotische Menschen sein wollen oder denken, dass sie es sind. Dabei lassen sich allerdings implizit und explizit Abgrenzungen anhand von Hautfarbe, Religion und Lebensweise finden. Allein die Behauptung zum Beispiel, man habe nichts gegen Menschen aus dem Ausland, wenn »die« sich an »unsere« Regeln halten, impliziert, dass ausländische Menschen andere und schlechtere Werte haben, die eine Gefahr für die Ordnung in Deutschland stellen.
Bei einem Fußballspiel das Trikot der Nationalmannschaft zu tragen oder die Nationalflagge zu hissen, sind patriotische Gesten, die auch von den Rechten gerne betont werden. Diese Dinge sind leicht als harmlos oder schön darzustellen, allerdings zeigen solche Gesten nicht, was der Patriotismus politisch umfasst. Was dem Patriotismus nämlich immer notwendigerweise vorausgeht, ist eine Idee, wie das, was man liebt, aussieht oder wie es ist. Dadurch kommt es unausweichlich dazu, dass man sich selbst und die eigene Gruppe abgrenzt und die „Anderen“ ausgrenzt. Beim Fußball zum Beispiel ist es etwas Schönes, sein Team anzufeuern oder es siegen zu sehen, aber es ist etwas ganz anderes, wenn man deswegen andere Teams und deren Fans für ihre Fanschaft angreift.
Der Patriot und die "Anderen"
Was liebt ein*e deutsche*r Patriot*in denn an Deutschland? Und was für Konsequenzen kommen von dieser Liebe? Patrioten befinden sich in einem stetigen Kampf, denn das, was sie lieben, muss beschützt werden. Aber wovor und vor wem?
Beim Patriotismus muss es Definitionen geben, was zu „uns“ und was zu „den Anderen“ gehört. Dabei wird Deutschland als fortschrittlich, erstrebenswert und gut dargestellt, wohingegen die Fremden oder die Anderen als unzivilisiert, gefährlich und schlecht dargestellt werden. „Die Anderen“ – welche Gruppe das auch immer sein mag (muslimische oder jüdische Menschen, Ausländer allgemein, Geflüchtete, etc.) – werden als eine Gefahr für das, was die Patrioten vermeintlich lieben, wahrgenommen. Denn wenn sich Deutschland durch „die Anderen“ verändern würde, dann geht das für Patrioten nur in Richtung Verschlechterung. Wenn man gesellschaftlich den Status Quo bewahren oder in alte Gesellschaftsformen zurück möchte, nennt man das Konservatismus. Deswegen will die AfD auch „neue Deutsche“ selber machen und zeigt dabei immer eine weiße, blonde Frau, bei der der Betrachter genau weiß, welches Bild von Deutschland man im Kopf haben soll und wer überhaupt als Deutsch gelten soll. Wieso wäre Deutschland ein Land von minderen Werten, wenn die nächste Generation nicht ausschließlich von weißen und blonden Menschen gemacht werden würde? Wer gehört „zu uns“ und wer gehört zu „den Anderen“? Sollte sich nicht jeder Mensch, der in Deutschland lebt, erwünscht und sicher fühlen können? Hat das wirklich noch etwas mit Liebe zur eigenen Heimat zu tun oder doch mehr mit der Ausgrenzung von „den Anderen“, weil diese implizit ja schlechter sind?
Die Ursprünge des Wortes Patriot (lateinisch »patria« für Vaterland) weisen bereits auf die Wichtigkeit des Geburtsortes und der elterlichen Herkunft hin. Oftmals wird behauptet, es ginge beim Patriotismus darum, Werte oder Lebensweisen zu bewahren, aber das sind auch wieder Schlagwörter, von denen man nicht genau weiß, was sie bedeuten sollen. Was bei Patrioten allerdings ganz viel Bedeutung hat und oftmals gefordert wird, ist der Stolz. Man soll stolz auf die eigene Nationalität sein; man soll stolz auf die Geschichte des eigenen Landes sein und man soll stolz auf das eigene Land sein, unabhängig davon, was es tut oder wie es sich gestaltet. Ab wann ist ein Land denn das „eigene Land“?
Das starke Bedürfnis, sich stolz zu fühlen, ist bei den Menschen, die sich als Patrioten bezeichnen, in verschiedenster Form zu sehen. Sich stolz fühlen zu wollen, scheint in diesem Kontext eine Umschreibung dafür zu sein, dass man sich besser als „die Anderen“ fühlen möchte. Patrioten streben nach der eigenen Aufwertung. Entspricht irgendetwas dem Bild von Deutschland, das die patriotischen Menschen haben, ist es per se gut und deswegen sollte man stolz darauf sein. Im Gegenzug gehört etwas nicht zu dem Bild von Deutschland, welches die patriotischen Menschen definieren möchten, dann soll es per se schlecht sein. Dabei geht es nicht um Inhalte oder Auswirkungen, sondern nur darum, was „zu uns“ und was zu „den Anderen“ gehört.
Nicht jeder Mensch, der sich nach Patriotismus sehnt, ist gleich ein strammer Nazi. Auch die CDU stand kurz vor der Wahl eines Parteichefs (Merz), der einen „gesunden Patriotismus“ gefordert hatte. Dennoch ist es wichtig zu verstehen, dass Patriotismus und Konservatismus zu Nationalismus führen kann, da dem erhaltenden und verteidigenden Bezug auf die eigenen Werte eben schon ein Ausschluss inhärent ist. Wenn die Liebe zu Deutschland und das Ansehen von Deutschland direkt mit dem eigenen Gefühl von Stolz und der eigenen Identität verbunden sind, dann ist es nicht mehr so einfach zu unterscheiden, was für Interessen Deutschland hat und was für Interessen man selbst hat.
Daher überrascht es nicht, wenn rechte Demonstrierende – meist weiße, heterosexuelle Männer ohne Behinderungen – rufen „Wir sind das Volk!“. Für diese Patrioten existiert ein exklusives Bild davon, wer und was zu Deutschland gehört. Sie maßen sich an bestimmen zu können, wer das Volk ist und wer für das Volk spricht – nämlich sie selbst. Patriotisch gesinnte Menschen verbinden also ihr eigenes Selbstwertgefühl mit einem Land oder Ort, in dem sie alleinig sich selbst und ihre eigenen Vorstellungen repräsentiert sehen wollen. Dabei wird gekonnt ignoriert, dass weder das Grundgesetz noch die deutsche Lebensweise auf die Isolation zu anderen Kulturen oder das Bevorzugen von Menschen, die Patrioten als deutsch anerkennen, ausgerichtet sind. Ganz im Gegenteil stellen sich patriotische Menschen oftmals gegen die gesetzliche Lage und Werte eines Landes, das sie doch so lieben zu wollen scheinen. So sorgen sich viele patriotische Menschen um die vermeintlich negativen Einflüsse von Menschen, die nicht in ihr Bild des Deutsch-Seins passen, haben aber weniger Sorgen, wenn es zu Themen oder Problemen kommt, bei denen weiße Herkunftsdeutsche selbst problematisch sind. Ein gutes Beispiel sind Frauenrechte: Patriotische Menschen möchten den Schutz von Frauen gerne instrumentalisieren, um gegen „Andere“ zu hetzen. Sollen weiße herkunftsdeutsche Männer aber ihren Umgang mit Frauen reflektieren, dann geht es den Patrioten eigentlich immer sofort zu weit und es werden Tiraden gegen Frauen gehalten, die Respekt einfordern und sich gegen Sexismus und Misogynie stellen.
Wenn sich patriotische Menschen Probleme aussuchen, über die sie sich aufregen, dient es meistens der eigenen Aufwertung. Gefahren für Deutschland gehen immer von »den Anderen« aus. In diesem Kontrast wird wieder deutlich, dass der Schutz von Deutschland damit verbunden ist, eine Gruppe von Menschen, zu denen man sich zugehörig fühlt, aufzuwerten. Wenn die eigene Aufwertung nicht mitschwingt, interessieren sie sich oftmals herzlich wenig für Themen, die uns alle etwas angehen.
Nadja Zillken hat in Amsterdam und Hamburg in den Bereichen der europäischen Außenpolitik und der internationalen Sicherheitspolitik studiert.