Standortnationalismus
„Du bist Deutschland.“ Mit dieser Kampagne wollte die Bundesregierung erreichen, dass die Menschen, die hier leben, sich stark machen - für die Zukunft dieses Landes. Weil die persönliche Lebensqualität direkt mit der Wirtschaftskraft des Standortes Deutschland verbunden sei. Der Name dieser Weltsicht: Standortnationalismus. Untrennbar mit ihm verbunden ist die Ideologie des Neoliberalismus.
Markt und Konkurrenz stehen über allem – der Neoliberalismus
Der Neoliberalismus setzt sich immer stärker durch. Wir spüren die Auswirkungen dieser Wirtschaftstheorie mittlerweile in fast allen Bereichen unseres Lebens - doch vor allem bei der Arbeit. Der Neoliberalismus sieht Markt und Konkurrenz als Wundermittel für eine funktionierende Ökonomie. Doch Leistung, Effizienz und Profit werden dabei zu Maßstäben für das gesamte gesellschaftliche Leben. Denn an Krisen jedweder Couleur, an Arbeitslosigkeit, Wachstumsschwäche oder Überalterung ist nach neoliberaler Lesart der Sozial- oder Wohlfahrtsstaat schuld. Die neoliberale Lösung: auch staatliche Regulierungen, soziale Sicherung, öffentliche Güter, Vor- und Fürsorge, Bildung und Kultur sollen wie der freie Markt funktionieren. Und dabei stehen die Betriebswirtschaftlichkeit, die Effizienz und die Gewinnorientierung im Zentrum. Humanität und Menschenwürde (oder manchmal gar Menschenrechte) sind in dieser Kosten/Nutzen-Rechnung nicht vorgesehen.
Der innere Widerspruch des „nationalen Wettbewerbsstaats“
Propagiert wird im Neoliberalismus ein schlanker Staat. Er soll möglichst wenig regulieren. Die materielle Basis des Staates sind die Steuereinnahmen. Seine größten Ausgabeposten sind die Sozialausgaben. Die Wirtschaft erwartet vom Staat klare Rahmenbedingungen. Vor allem große Unternehmen erwarten hier möglichst wirtschaftsfreundliche Regeln und drohen ansonsten mit Abwanderung ins Ausland. Paradox: Die Regelungen fallen dann nicht selten zu Lasten der Mehrheit der Bevölkerung aus. Doch gleichzeitig trägt der Staat auch Verantwortung gegenüber seinen Bürger*innen. Er muss die Einhaltung der ihnen zustehenden Rechte gewährleisten. Er soll soziale Konflikte vermeiden und den inneren Frieden wahren. Und eine angemessene Reproduktion der Menschen sichern.
Das Spiel heißt „alle gegen alle“
Konkurrenz und gegenseitige Abhängigkeit sind zwei Seiten des Kapitalismus. Sie bedingen sich gegenseitig. Denn bei der arbeitsteiligen Produktion sind die Menschen davon abhängig, dass benötigte Produkte hergestellt werden und kaufbar sind. Gleichzeitig sind die Menschen Konkurrenten, da alle ihren Lebensunterhalt verdienen müssen. Deutlich wird dies vor allem in konjunkturellen Flauten oder Krisenzeiten: Rationalisierungen, Sparmaßnahmen und Entlassungen verursachen Existenzängste. Der Konkurrenzdruck nimmt weiter zu.
Wir gegen die Anderen
Menschen folgen im Kapitalismus dem Mantra, dass nur Wettbewerbsvorteile gegenüber anderen Unternehmen, Regionen, Ländern oder Kontinenten ihnen Sicherheit geben. Diese Logik wendet sich schlimmstenfalls auch gegen eigene Interessen: Zum Beispiel, wenn die Menschen Lohn- und Gehaltkürzungen oder Arbeitszeitverlängerung in Kauf nehmen. Damit ihr Unternehmen konkurrenzfähig bleibt. Auch ohne Garantie, dass diese Rechnung aufgeht. Aus eigener Kraft und allein können sich Menschen in der Regel aus diesem Widerspruch nicht befreien. Nur durch Zusammenschluss und Organisation gemeinsamer Interessen können weitreichendere Veränderungen erreicht werden! Gefährlich wird es jedoch, wenn Solidarität aufgegeben wird. Wenn als scheinbare Lösung ein Denken Raum greift, das immer einen rückschrittlichen Kern hat: der Nationalismus. Die extreme Rechte verknüpft die soziale Frage mit dem Nationalismus. In Form von biologischen, völkischen oder nationalen Ideologien. Sie bietet eine Scheinlösung.
Der Standortnationalismus
Mittels gemeinsamer Sprache, Herkunft und Tradition schwört der Standortnationalismus die unterschiedlichsten Interessengruppen auf ein verbindliches Gefüge ein. Auf die nationale Gemeinschaft. Bei starker Konkurrenz wird diese konstruierte „Wir“-Gruppe leicht als Ausgrenzungskriterium im ökonomischen Wettlauf missbraucht. Dann zählt plötzlich der deutsche Pass, die persönliche Herkunft, die Religion, die Hautfarbe mehr als alles andere. So kann der Standortnationalismus die eng verwandte Ideologie des Rassismus nach sich ziehen. Allerdings bestehen beide Ideologien auch unabhängig voneinander.
Mit Solidarität dem Wettbewerbswahn entgegenstehen
Richtet sich die gewerkschaftliche Praxis allein auf Standortsicherung, läuft sie Gefahr, zwischen der Mitte der Gesellschaft und rechtsradikalen Denkmustern zu vermitteln. Denn Nationalismus und neoliberaler Wettbewerb fördern den Glauben daran dass gesellschaftlicheVerhältnisse „naturgegeben“ sind. Sie fördern das Primat des „Rechts des Stärkeren“ (Sozialdarwinismus). Sie fördern Abgrenzung und Ausschluss von Menschen anhand äußerlicher Merkmale, oder auch der Herkunft. dem Glauben, der Weltanschauung. Dem stehen wir mit unseren Prinzipien der Solidarität, des Respekts, der Anerkennung und der Chancengleichheit entschlossen entgegen.