Betroffen
Am Arbeitsplatz, in der Schule und auf der Straße – immer wieder erleben wir Mobbing, Übergriffigkeit und Diskriminierung. Solche Angriffe wirken über die Verletzung des Einzelnen hinaus. Sie greifen unsere Gesellschaft als Ganze an. Treffen kann es dabei im Prinzip jede Person. Wir haben einige Informationen für euch zusammengestellt: So könnt ihr Betroffenen helfen, aber auch euch selbst schützen und wehren. Doch Gewaltdelikte sind sehr verschieden und die körperlichen und seelischen Folgen für die einzelne Person sind es auch. Scheue dich daher nicht, frühzeitig zu einer Beratungsstelle zu gehen. Dort kann man dir individuell bei anstehenden Entscheidungen und den ersten notwendigen Schritten helfen
Zeug*in einer Gewalttat/ Unterstützerin
Nichts scheint mehr sicher, wenn man das Opfer einer Gewalttat geworden ist. Auch Beleidigungen oder Mobbingattacken können die Betroffenen stark verunsichern und ihnen den Alltag zur Hölle machen. Versucht mit Betroffenen zu reden. Nehmt sie ernst und hört ihnen zu. Doch auch als Angehörige*r oder Freund*in sind wir vielleicht unsicher, wie wir am besten helfen können. Konkrete Unterstützung für Betroffene von Gewalt kann ganz unterschiedlich aussehen:
- Sprich mit der betroffenen Person
- Begleite die betroffene Person zur Anzeigenstellung bei der Polizei oder zur Zeugenaussage bei Gericht
- Geh mit zur Untersuchung und Dokumentation der Verletzungen bei Arzt oder Ärztin
- Thematisiere den Angriff – im Einverständnis mit der betroffenen Person - in deinem Betrieb / deiner Dienststelle
- Schaffe Aufmerksamkeit für diskriminierende und rassistische Aktivitäten und Strukturen
- Gewinne Unterstützer*innen für Betroffene rechter Gewalt in deinem Betrieb und in deiner Schule
Du sitzt in der U-Bahn. Und wie aus dem Nichts siehst du, wie die Person neben dir beleidigt und oder körperlich angegriffen wird. Was tust du? Deine schnelle Entscheidung und Reaktion kann die Situation entscheidend beeinflussen. Und doch gibt es kein allgemeingültiges Verhaltensrezept. Gewaltsituationen sind sehr unterschiedlich. Deine Möglichkeiten einzugreifen sind vielleicht begrenzt. Trotzdem kannst du auf jeden Fall etwas unternehmen, ohne dich selbst in Gefahr zu bringen:
Hol Hilfe! Bleib nicht allein. Ruf laut um Hilfe, damit die Täter*innen verunsichert werden. Sprich andere gezielt an und fordere sie auf, gemeinsam mit dir einzugreifen. In jedem Fall: Ruf die Polizei und gegebenenfalls einen Krankenwagen.
Stelle dich als Zeug*in zur Verfügung! Schreibe möglichst detailliert auf, was passiert ist. Wie sahen die Täter*innen aus? Wie ist der Angriff abgelaufen? Wie haben sich die Täter*innen verhalten, wie die angegriffene Person? Wer hat möglicherweise noch etwas gesehen? Je genauer deine Angaben sind, umso besser können sie später zur Überführung der Täter*innen verwendet werden. Wenn möglich dokumentiere die Situation mit deinem Handy, um die Daten später an die Polizei zu übermitteln.
Am wichtigsten ist es, der betroffenen Person direkt beizustehen. Als Freund*in, Kollege*in oder Kommiliton*in solltest du der betroffenen Person Begleitung und Unterstützung anbieten. Lass sie nicht allein! Wichtig ist durch sensibles Beobachten und Fragen herauszufinden: Was tut der betroffenen Person gut? Wie kann man helfen, dass die betroffene Person Sicherheit und Stabilität zurückerlangt? Achte auf die Signale deines Gegenübers, überfahre niemanden mit deinem Wunsch nach Hilfe.
Wichtig für Opfer von Gewalt ist ein stabiles und verständnisvolles Umfeld. Mit Gesprächen und verständnisvoller Aufmerksamkeit kannst du Sicherheit und Stabilität vermitteln und so helfen, dass dein*e Kolleg*in das Erlebte für sich besser erfasst, sortiert und bewältigt. Aber überfordere dich nicht! Ist die betroffene Person auch Wochen nach dem Angriff noch ängstlich oder gereizt, kommen die Bilder der Gewalt unkontrolliert zurück – sollte sie unbedingt eine psychotherapeutische Beratung aufsuchen. Fachleute können helfen, das seelische Gleichgewicht wiederherzustellen.
Unsere Solidarität kann etwas bewegen. Auch und gerade für Betroffene diskriminierender Gewalt. Es gibt viele Möglichkeiten, Zeichen zu setzen. Reagieren wir nicht, überlassen wir den Täter*innen den öffentlichen Raum. Wir geben ihnen stillschweigend Recht. Es ist daher zwar prinzipiell gut, Gewalttaten bekannt zu machen und zu verurteilen. Doch sollte dies immer und unbedingt im Einverständnis mit dem Opfer dieser Gewalt geschehen.
Opfer einer Gewalttat
Du bist selbst Opfer von verbaler oder körperlicher Gewalt geworden? Vielleicht fällt es dir schwer, dich jemandem anzuvertrauen. Auch wenn dein Vertrauen in deine Mitmenschen schwer erschüttert wurde, zieh dich nicht zurück! Rede mit vertrauten Menschen oder Mitarbeiter*innen einer offiziellen Hilfsstelle über deine Erlebnisse und auch über deine, vielleicht widersprüchlichen, Gefühle. Gespräche mit der richtigen Person können dir helfen, das Geschehene zu verarbeiten. Sie können dir Handlungsmacht und Sicherheit zurückgeben sowie dir Perspektiven für das weitere Vorgehen eröffnen. Du kannst dich dazu zum Beispiel an den Weißen Ring wenden.
Sind körperliche Verletzungen entstanden, solltest du zu einer Ärztin oder einem Arzt gehen. Sofort. Selbst, wenn die Verletzungen zunächst nur leicht erscheinen. Deine Ärztin oder dein Arzt sollte alle Verletzungen genau dokumentieren und von den äußerlichen auch Fotos machen. Bist du in deinem Betrieb Ziel von Beleidigungen oder Gewalt geworden, sprich unbedingt mit deiner JAV darüber. Sie können dir weiterhelfen und wissen um deine Rechte.
Die sorgfältige Dokumentation aller Spuren der Gewalttat ist für ein späteres Gerichtsverfahren, für Schmerzens- oder Versorgungsgeldansprüche sehr wichtig. Selbst wenn du noch nicht sicher bist, ob du Anzeige erstatten willst, solltest du dir die Möglichkeit offen halten. Am besten bewahrst du beschädigte oder verunreinigte Kleidung und sonstige Gegenstände auf, die mit der Tat in Verbindung stehen. Ein Tatprotokoll von Zeug*innen und betroffenen Personen ist wichtig, um auch nach einigen Wochen noch nachvollziehen zu können, was wann passiert ist. Und manchmal kann es einige Jahre dauern, bis es zum Prozess kommt. Wenn du als Zeug*in aussagst, hilft ein genaues Protokoll, dir den Tathergang wieder vor Augen zu führen.
Wird die Polizei zum Tatort gerufen wurde, nimmt sie in der Regel direkt die Personalien der anwesenden Personen auf und führt auch erste Gespräche. Schon hier kannst du Strafanzeige stellen. Wenn dir damit wohler ist, kannst du dich aber auch von Freund*innen zur Anzeigenstellung auf dem Revier begleiten lassen. Wenn du die deutsche Sprache nicht fließend sprichst, hast du das Recht auf eine Person, die dolmetscht.
Einige Betroffene befürchten Racheaktionen der Täter*innen, wenn sie Anzeige erstatten. Diese Angst kann man jemanden nur schwer nehmen. Zudem sind manche Menschen der Polizei gegenüber skeptisch. Versuche sie dennoch zu überzeugen: Eine Anzeige allein löst zwar nicht die individuellen Probleme der Betroffenen, noch hebt sie die gesellschaftlichen Gründe diskriminierender Gewalt auf. Aber sie ist ein erster Schritt, um aktiv der erfahrenen Gewalt zu begegnen und die eigene Wirkmächtigkeit wieder zu spüren.
Ohne Anzeige gibt es meist keine Ermittlungen und keine strafrechtliche Verfolgung der Täter*innen. Sie ist auch notwendig für den Anspruch auf Entschädigungszahlungen, Schmerzensgeld und die Kostenübernahmen bei gesundheitlicher Versorgung. Hat man sich für eine Strafanzeige entschieden, sollte zugleich ein Strafantrag gestellt werden, damit die Polizei nicht nur über eine mögliche Straftat informiert wird, sondern diese unter Umständen auch wegen der Verletzung minderschwerer Straftatbestände verfolgbar ist. Eine Strafanzeige kann jeder Mensch stellen, auch Zeug*innen. Den Strafantrag muss die geschädigte Person selbst einreichen.
Für die Ermittlungen der Polizei werden alle Beteiligten zur Vernehmung geladen. Als Zeug*innen oder als Beschuldigte. Opfer von Gewalt sind ebenfalls Zeug*innen. Es kann passieren, dass sie jedoch auch zur Beschuldigten-Vernehmung geladen werden. Wenn Polizei und Staatsanwaltschaft ihre Ermittlungen beendet haben, entscheidet die Staatsanwaltschaft, ob sie Anklage erhebt oder das Strafverfahren einstellt. Dies kann geschehen, wenn die Täter*innen nicht ermittelt werden konnten oder eine schlechte Beweislage die Verurteilung der Angeklagten unwahrscheinlich macht. Wird Anklage erhoben und vom Gericht zugelassen, kommt es zur Verhandlung bei Gericht. Diese findet mitunter jedoch erst Monate oder Jahre nach der Tat statt. Dabei werden alle Zeug*innen noch einmal mündlich gehört. Die Verhandlung endet mit einem Urteil, das vom Freispruch bis hin zur Freiheitsstrafe reichen kann.
Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche werden in einem Zivilverfahren entschieden. Mit einem Adhäsionsantrag können Geschädigte beantragen, dass ihre zivilrechtlichen Ansprüche schon im Strafverfahren mit entschieden werden. Auch hier sollte man eine rechtliche Vertretung einschalten. Wird über die Ansprüche nicht im Strafurteil entschieden, kann man beim Zivilgericht klagen. Opfer rechter Gewalt haben auch ohne zweites Gerichtsverfahren ein Recht auf Schmerzensgeld aus einem Fonds für Opfer rechtsextremer Gewalt. Diesen verwaltet das Bundesamt für Justiz. Schmerzensgeld kann dort mittels Vordruck unbürokratisch und ohne großen Aufwand beantragt werden.
Geflüchtete, die Asyl beantragt haben oder nur geduldet werden, unterliegen vielen Sondergesetzen. Werden Geflüchtete Opfer von Gewalt, was nicht selten der Fall ist, erschweren diese restriktiven und diskriminierenden Regelungen die Verarbeitung der Gewalt zusätzlich. Asylsuchende und Menschen ohne geregelten Aufenthaltsstatus benötigten daher unsere besondere Unterstützung und Solidarität.