Neue Rechte
Alter Wein in neuen Schläuchen: Was ist neu an der Neuen Rechten?
Schaut man in den letzten Jahren in die Sozialen Medien, begegnen dem und der aufmerksamen Mediennutzer*in neue „Stars“ am politischen Himmel der Bundesrepublik. Junge, meist in Fred Perry und Lyle & Scott gekleidete Männer, die mit gut produzierten Youtube-Videos rassistische und antidemokratische Inhalte transportieren: die Identitären. Häufig werden diese als Neue Rechte bezeichnet. Doch was genau verbirgt sich hinter den Neuen Rechten und was unterscheidet sie von den „Alten“?
Von den Alten zur Neuen Rechten
Die so genannte Neue Rechte ist keine Erscheinung der letzten Jahre, sondern bereits seit den 1970er Jahren in Deutschland aktiv. Sie kann als eine Reaktion auf eine Krise der bundesdeutschen Rechten in den 1960ern und 1970ern verstanden werden. Zu dieser Zeit organisierte sich die extreme Rechte in Deutschland und Europa maßgeblich in Parteien. Als die Nationaldemokratische Partei Deutschland (NPD) 1964 jedoch bei den Bundestagswahlen knapp an der Fünf-Prozent-Hürde scheiterte und so den Einzug in das Parlament in Bonn versäumte, kam es innerhalb der „alten“ Rechten zu einer kritischen Bestandsaufnahme ihres parteiförmigen Agierens. Parlamentarischer Einfluss oder gar eine Regierungsbeteiligung schienen in weiter Ferne.
Dies führte zu einem zweiteiligen Strategiewechsel. Auf der einen Seite richtete sich die Kritik an den Parlamentarismus der NPD und es entstanden außerparlamentarische, paramilitärische und terroristische Organisationen. Sie vertraten die Auffassung, dass die Demokratie nicht von „innen“, durch den Parlamentarismus, sondern durch einen gewaltsamen Umsturz abgeschafft werden müsste. Der andere Flügel erklärte sich sein Scheitern wiederum mit einer mangelnden Intellektualität und Attraktivität. Sie orientieren sich nicht an einem „Kampf um die Straße“, sondern strebten einen „Kampf um die Köpfe“ an. Die Menschen müssten intellektuell und kulturell von extrem rechten Meinungen überzeugt werden. Dabei orientierten sie sich an der, ebenfalls neu entstehenden, Anti- Vietnamkriegs- und Studentenbewegung der 1960er Jahre. Die Akteure der Neuen Rechten, so könnte man sagen, kopieren einige Strategien der Linken. Es entstanden in dieser Zeit vor allem lose organisierte Lese- und kleine Zeitschriften- und Verlagsprojekte (Junges Forum, Fragmente, Criticon), die nicht maßgeblich das Ziel hatten, viele Leute zu organisieren, sondern sich vielmehr als Ideen- und Stichwortgeber zu etablieren. Viele dieser Zeitschriften- und Verlagsprojekte verschwanden wieder. Die 1986 gegründete Tageszeitung Junge Freiheit konnte sich aber über das eigene Spektrum hinaus etablieren und ist heute mit einer Auf lage von 30.000 Exemplaren das Flaggschiff der Neuen Rechten, in dem politische und historische Themen, auch ästhetisch-kulturelle Fragen intensiv diskutiert werden.
Von den 1990er Jahren bis heute
In den letzten 40 Jahren hatte die Neue Rechte in der Bundesrepublik immer wieder Höhen und Tiefen erlebt. Gerade die Zeit nach dem Ende der DDR, Anfang und Mitte der 1990er Jahre, war für sie die bisher erfolgreichste. Im wiedervereinten Deutschland mit einem, durch die Kohlregierung geprägten, staatsoffiziellen rechtskonservativen Klima, in dem das Recht auf Asyl 1993 mit den Stimmen fast aller Parteien faktisch abgeschafft wurde und die rassistischen Morde und Anschläge auf Asylbewerber*innenunterkünfte von staatlicher Seite lange toleriert wurden, hatte die Neue Rechte günstige Bedingungen. So konnten einige Vertreter*innen, u. a. Karl-Heinz Weißmann – ein regelmäßiger Autor der Jungen Freiheit und Gründer des Instituts für Staatspolitik – durch eigene Publikationen und Gastbeiträge in renommierten Zeitschriften (u. a. der Frankfurter Allgemeinen Zeitung) geschichtsrevisionistische, antiliberale und regressive Ideen einem größeren Publikum präsentieren. Dieser Einfluss konnte aber nicht gehalten werden. In den späten 1990er und frühen 2000er Jahren kam es zu einem erneuten Niedergang.
Dies führte zu einer Reorganisierung neurechter Strukturen. Um die 2000er wurden neue Organisationsstrukturen (Institut für Staatspolitik (IfS), Bibliothek des Konservatismus) und Zeitschriften- und Publikationsorgane (Sezession, Blaue Narzisse, Antaios-Verlag) gegründet. Zusätzlich kam es zu einer Erweiterung ihres strategischen Ansatzes: dem Einsatz neuer sozialen Bewegungen von rechts, vor allem der Etablierung der Identitären Bewegung in Deutschland und Österreich. Bei dieser Reorganisation spielte Götz Kubitschek eine zentrale Rolle. 2000 gründete er zusammen mit Karl-Heinz Weißmann das Institut für Staatspolitik. Aktuell ist er Geschäftsführer des Antaios-Verlags und seit 2003 Redakteur der Zeitschrift Sezession. Er initiierte mehrere politische Kampagnen (u. a. Ein Prozent für unser Land) und war maßgeblich an der inhaltich-konzeptionellen Strukturierung der Identitären Bewegung in Deutschland beteiligt. 2015 trat er mehrmals bei Pegida-Demonstrationen als Redner auf und pflegt gute Kontakte zu Björn Höcke von der AfD.
Kulturrevolution und Größenwahn
Der politische Ansatz der Neuen Rechten besteht in dem Versuch, die Mainstream-Meinung nach Rechts zu verschieben. Dies tun sie, indem sie sich in aktuelle Debatten einklinken und diese auf hohem intellektuellem Niveau beeinflussen wollen. Durch das Verschleiern und Anpassen ihrer Inhalte, Begriffe und Themen an die aktuelle politische und mediale Umgebung wird versucht, in den gesellschaftlichen Mainstream hineinzuwirken und hier eine grundlegende Denkrichtung der Gesellschaft zu prägen und zu bestimmen. So wird versucht, den Bereich der (politischen) Kultur mit den eigenen Themen zu besetzen, was dann mittel- bis langfristig zu einer politischen Neuordnung im Sinne der Neuen Rechten führt. Dabei spielen auch vermeintlich unpolitische Felder wie Kunst und Musik eine strategische Rolle. Die Vertreter der Neuen Rechten verstehen sich dabei als Avantgarde und wissen sich auf einer öffentlichen Bühne zu verkaufen. So schien es für kurze Zeit ein eigenes journalistisches Genre zu geben: Hausbesuche bei neurechten Akteuren und dem Ablichten ihrer Lebensrealität.
Es ist auch eine Strategie der Neuen Rechten, sich größer und wirkmächtiger zu verkaufen, als sie eigentlich sind. Das eigene Handeln wird ausschließlich als Erfolg verkauft. Der (intellektuelle) Einfluss der Neuen Rechten ist durchaus geringer, als gerne von ihnen behauptet. In ihren Inhalten unterscheidet sich die Neue Rechte nicht sonderlich von anderen Akteur*innen der extremen Rechten. Dabei orientiert sie sich historisch nicht direkt am Nationalsozialismus, sondern an der so genannten Konservativen Revolution der 1920er Jahre in Deutschland. Diese Denkströmung war aber faktisch der intellektuelle Wegbereiter des Nationalsozialismus. Viele Akteur*innen der Konservativen Revolution schlossen sich später begeistert den Nationalsozialisten an. Inhaltlich standen ihre Vertreter wie Carl Schmitt, Ernst Jünger und Edgar J. Jung für völkische und deutsch-nationale Positionen, die sich gegen die liberal-demokratischen Rechte und Vorstellungen der Französischen Revolution und der Aufklärung richteten. Ziel dieser völkischen Ideologen war eine totale Ordnung, in der alle Lebensbereiche erfasst, organisiert und kontrolliert werden.
Reines Deutschland
Die Neue Rechte geht, wie alle Teilsegmente der extremen Rechten, von einer Ungleichheit der Menschen aus. Ihnen geht es um ein ethnisch reines Deutschland, welches durch Feinde von außen (Flüchtlinge, Migranten, Muslime) und von innen (liberale und linke Journalisten, Gewerkschaften, Politiker*innen) zerstört wurde bzw. wird. Was bei der NPD und den neonazistischen Kameradschaften „Volkstod“ heißt, nennen die Identitären „großen Austausch“. Sie sprechen nicht von „Rassentrennung“, sondern von „Ethnopluralismus“. Dabei geht es jedoch um dasselbe: Jedes Volk, jede Kultur hat ihren angestammten Platz auf der Erde. Ein Austausch, eine „Vermischung“ untereinander führt zum Verfall der jeweiligen Kultur. Diese Trennung nach Kulturräumen basiert auf einem Differenzdenken, in dem Menschen nur in ihrer ethnisch-kulturellen Identität – und nicht in ihrer Subjektivität und Individualität – in einem unabänderlichen Ganzen aufgehen können. Diese Kollektive stehen sich in einem einfachen Freund-Feindschemata gegenüber. In dieser Weltansicht besteht ein ständiger Kampf zwischen den Kulturen. Das Gesellschaftsmodell der Neuen Rechten besteht auf dem ständigen Ausnahmezustand, selbst wenn ein „ethnisch-reines“ Deutschland hergestellt werden kann, muss dieses ständig gegen äußere und innere Feinde verteidigt werden. Demokratische Prinzipien wie die Gewaltenteilung, Minderheitenrechte oder einfach das Aushandeln von unterschiedlichen Meinungen sind im „ewigen Kampf der Kulturen“ lästig und störend. Das was zählt, ist eine „völkische Nation“, die sich gegen die ständige Bedrohung von innen, als auch von außen zur Wehr setzt. Die größte Gefahr, die aktuell von den neurechten Akteuren ausgeht, ist, dass sie durch ihre Taktik eines „Kulturkampfes von rechts“ es teilweise schaffen, reaktionäre, antiliberale, antidemokratische und zum Teil faschistische Inhalte gut zu verpacken, so dass diese auch von einem konservativen bis liberalen Bürgertum aufgenommen und als Teil einer öffentlichen Debatte über Themen wie Migration, Heimat und Kultur angesehen werden. Mit dem Aufkommen der AfD und Pegida wurde hierfür ein öffentlicher Resonanzboden geschaffen, der auch Akteur*innen und Positionen der Neuen Rechten größeres Gehör verschaffte. Jedoch darf man dabei nicht Schein mit Sein verwechseln. Bei der Neuen Rechten handelt es sich in Deutschland um einen eher kleinen Kreis an Personen, die versuchen, regressive, antidemokratische, rassistische und antisemitische Vorstellungen in blumige Worte zu verpacken.
Die Neue Rechte in den Betrieben
Auch in den Betrieben wird die Neue Rechte aktiv, so werden immer mehr Betriebs- und Landesgruppen patriotischer Arbeitnehmer*innen gegründet. Dabei versuchen die Neuen Rechten auch für die Betriebsratsarbeit zu werben. Ein Beispiel dafür ist die Gruppe Zentrum Automobil, in der sich rechte Arbeiter*innen der Automobilbranche organisieren. Studien zeigen, dass Gewerkschaftsmitglieder häufiger die AfD wählen als nicht Gewerkschaftsmitglieder. Diesen Tendenzen müssen wir uns als aktive Gewerkschafter*innen klar entgegenstellen: in den Mittagspausen, in der JAV-Arbeit und auch nach Feierabend – wir stehen für eine offene und plurale Gewerkschaft und Gesellschaft!
Marco Schott hat Soziologie und Erziehungswissenschaften in Mannheim, Leipzig und Jena studiert. Aktuell arbeitet er am Deutschen Jugendinstitut in Halle (Saale). Seine Schwerpunkte sind Radikalisierungsprävention, Neonazismus und Evaluationsforschung. Er ist bei dem Leipziger Dokumentations- und Rechercheprojekt chronik.LE aktiv. Als ver.di-Mitglied ist er an diversen gewerkschaftlichen Bildungsprojekten beteiligt.