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Was genau ist eigentlich Critical Whiteness?
Der Begriff Critical Whiteness spielt in Diskursen der (linken) Öffentlichkeit eine immer größere Rolle, um damit eine bestimmte Art der Antirassismus-Arbeit zu beschreiben. Doch was bedeutet er überhaupt?
Critical Whiteness zielt im antirassistischen Handeln darauf ab, dass Menschen, die nicht von Rassismus betroffen sind, sich möglichst solidarisch mit den Menschen zeigen, die aufgrund äußerer Merkmale (wie z. B. Hautfarbe, Name etc.) unter rassistischer Diskriminierung leiden. Das ist eine super Sache! Genau das beschreibt auch unser gewerkschaftliches Grundprinzip der Solidarität: Ich muss nicht selbst betroffen sein, um für andere zu kämpfen. In unserem Gewerkschaftsalltag machen wir genau das: Selbst wenn wir gar nicht direkt betroffen sind, setzen wir uns für eine Mindestausbildungsvergütung ein, kämpfen für eine Übernahme aller Auszubildenden oder versuchen, auf eine Erhöhung des BAföG hinzuwirken.
Gehen wir tiefer ins Detail: Wie möchte Critical Whiteness Rassismus entgegenwirken? Der Critical-Whiteness-Ansatz versucht, über eine individuelle Auseinandersetzung mit den eigenen Privilegien einen gerechteren Umgang im Miteinander zu finden. Das bedeutet, dass sich Personen, die nicht von Rassismus betroffen sind, darüber klar werden – also reflektieren – sollen, dass sie vom Rassismus in der Gesellschaft profitieren. Zum Beispiel auf dem Wohnungsmarkt, bei Bewerbungen um Ausbildungsplätze oder im Schulsystem. Auch das klingt nicht verkehrt. Wenn ich weiß, wie sehr ich in einem von Rassismus geprägten System Privilegien – also Vorteile – habe, dann ist das ein sehr guter erster Schritt zu mehr Gerechtigkeit.
Gleichzeitig zielt dieser Ansatz mit Fokus auf das Individuum auch immer auf Veränderung im Individuum. Dabei geht es verstärkt um die Position der Sprechenden. Also darum, von wem etwas gesagt wird. Herkunft und Geschichte einer Person werden in den Fokus gestellt und weniger ihre Haltung, Einstellung oder Werte. Damit wird jedoch auch angenommen, dass alle Personen, die (Herkunfts-)Merkmale gemeinsam haben, auch die gleichen Erfahrungen teilen und zwangsläufig damit eine gleiche Haltung innehätten.
Das klammert die Komplexität der Gesellschaft und der Lebenswelten von Menschen aus: Auch das Milieu und die Klasse haben einen Einfluss auf die Entstehung von Haltung und Werten. Geteilte Erfahrungen bedeuten nicht zwangsläufig gleiche Meinung. Setzt man eine Person mit einem Parteibuch der Linken und eine Person mit einem CSU-Parteibuch auf ein Podium, die ein (Herkunfts-)Merkmal gemeinsam haben, so werden doch verschiedene Antworten auf Fragen zu Sicherheit, Gewerkschafts- oder Wohnungspolitik herauskommen.
Und da trennt sich der gewerkschaftliche Ansatz vom Critical-Whiteness-Ansatz: Denn im Critical-Whiteness-Ansatz wird nicht danach gefragt, in welcher Welt wir leben wollen. Es geht nicht um eine strukturelle Veränderung der Gesellschaft, sondern um den mehr oder weniger gelungenen Reflexionsprozess und die Repräsentationsmöglichkeiten der Individuen. Wenn man den Critical-Whiteness-Ansatz weiterführt, müssten alle nicht von Rassismus betroffenen Individuen erkennen, dass sie Privilegien ablegen müssen. Es wird also nicht dafür gekämpft, dass die Privilegien von bestimmten Gruppen zu Rechten für alle werden, sondern dafür, dass Privilegien abgelegt werden müssen.
Das widerspricht dem gewerkschaftlichen Grundsatz der Solidarität, dass sich diejenigen mit mehr Einfluss auch für die anderen mit weniger (Streik-)Macht einsetzen. Gewerkschaftliches Handeln setzt immer auf kollektives – also gemeinschaftliches – Handeln. Wir wollen Veränderungen der materiellen Verhältnisse, damit die Schere zwischen Arm und Reich kleiner statt größer wird. Das tun wir zum Beispiel im Arbeitskampf, wenn wir dafür kämpfen, dass die unteren Gehaltsgruppen (in durch Tarifverhandlungen erkämpften Gehaltserhöhungen) einen höheren Festbetrag statt einer prozentualen Erhöhung bekommen.
In der Gewerkschaft zielen wir auf Missstände und strukturelle Ungerechtigkeiten in der Gesellschaft ab. Dafür verfolgen wir einen Ansatz, der Rassismus nicht nur als falsches Bewusstsein der Individuen ansieht, sondern als Strukturelement im Kapitalismus, den es zu bekämpfen gilt. Auch historisch gesehen hat Rassismus – beispielsweise in Form der Sklaverei im 18. und 19. Jahrhundert – dazu geführt, dass großes Leid über viele Menschen gebracht wurde, um einen ökonomischen Vorteil für eine kleine Gruppe zu sichern.
Ein materialistischer – das heißt, auf die Verteilung von Kapital und Besitz bezogener – Antirassismusansatz, wie ihn die Gewerkschaften haben, zeigt also auf, dass es im Kapitalismus verschiedene Strukturen gibt, die Solidarität untereinander verhindern und Konkurrenz befördern. Rassismus kann nicht bekämpft werden, ohne die gesellschaftlichen Besitzverhältnisse zu verändern.
Wir kämpfen Tag für Tag für tiefgreifende Veränderungen dieser Strukturen. Denn unsere Arbeitskämpfe, unsere betrieblichen Interessenvertretungen und die vielen Aktiven der ver.di Jugend haben ein gemeinsames Ziel: Eine solidarischere und gerechtere Gesellschaft! Für das gute Leben für alle!